[Kc-orga] Versuch einer Reflexion über den Klimacamp Prozess
Franziska Wittig
unkraut at atomkraft-nein-danke.de
Sa Mär 7 17:27:19 GMT 2009
Dieser Text ist der Versuch einer Reflexion über den
Klimacamp Prozess im letzten Jahr.
Er will versuchen die Ursachen der Trennung des
KlimacampProzesses zu analysieren, Sinn und
Folgen der entstandenen Gräben zu hinterfragen und sich
mit ihnen auseinandersetzen.
Die Idee eines Klimacamps in Deutschland hatte zunächst
bei vielen Menschen Energie und
Aufbruchstimmung ausgelöst. Nach der Trennung war von
dieser kaum mehr etwas vorhanden.
Viele Menschen vor allem auch solche, die neu in dem
Prozess waren fühlten sich abgeschreckt.
Einige Aktive erleben die Folgen des KlimacampProzesses
selbst jetzt noch als Behinderung ihrer
politischen Arbeit. Deshalb war es für uns wichtig, uns
ein weiteres Mal mit der Spaltung und ihren
Folgen auseinander zu setzen, um dieses Thema
abzuschließen.
Wieso es zur Trennung kam
Im Klimacampprozess sind viele verschiedene Menschen aus
unterschiedlichsten politischen
Kulturen mit verschiedenen Politikverständnissen zusammen
gekommen. Auch die Vorstellungen
darüber, wie der Prozess zu einem Klimacamp aussehen
sollte, waren sehr unterschiedlich.
Uneinigkeiten über die Formen des Umgangs miteinander und
die Gestaltung der Treffen führten
bereits frühzeitig immer wieder zu Konflikten. Auch gab es
verschiedene Ideen davon, wie die
eigene Politik aussehen soll. Für einen Teil der
Vorbereitenden war beispielsweise die Anknüpfung
an die G8 Proteste ein sehr zentraler Punkt. Diese
Menschen hatten aufgrund der Bündnisarbeit des
voran gegangen Jahres eine relativ klare Vorstellung wie
ein Bündnisprozess aussieht. In dem
Prozess waren auch Menschen aus einem eher
herrschaftskritisch ökologischen Spektrum, die vom
Klimacamp in Großbritanien und der dort viel stärkeren
ökologisch fokussierten Linken inspiriert
waren. Verschiedene Verhältnisse zu „Bewegungspolitik“
trafen in dem Prozess aufeinander und
jeder wollte seine Vorstellungen im Klimacamp
verwirklichen.
Die Tatsache, dass das Klimacamp als G8Nachfolgeprojekt
galt, hatte von Anfang an Druck auf
den Prozess erzeugt und bestimmte Erwartungen wurden auch
von außen immer wieder an den
Prozess herangetragen. Erschwerend kam ein wachsender
Zeitdruck hinzu. Dieser führte zu einer
Konzentration wichtiger Aufgaben bei Menschen, die auch
aufgrund früherer Tätigkeiten „wußten
wie es schnell geht“ was wiederum zu Problemen der
Transparenz im Prozess führte.
Im Prozess gab es einige Versuche zu konkretisieren, was
und wo mensch mit einem Klimacamp hin
wollte: beispielsweise von AAP mit ihrem NGOPapier. Dass
es trotz dieser Versuche zu keiner
Klärung darüber kam, trug wesentlich zur Trennung bei. Die
Konflikte und ein produktiver Streit
über die Vorstellung, wie mensch sich Intervention in
Gesellschaft vorstellt, wurden nicht gesucht.
Für einige war dabei die Frage, welche Rolle „NGOs“
innerhalb des Prozesses spielen und wie mit
einer möglichen Vereinnahmung umgegangen werden kann,
zentral. Vor allem weil über diesen
Punkt keine Klärung stattfand, ist der Streit in Frankfurt
an der Frage, welche Rolle NGOs und
anderen Gruppen im Prozess und auf dem Camp spielen
sollten, gescheitert. Der eigentliche Punkt,
an dem es dann in Frankfurt zur Trennung kam, ist wohl
nicht zentral sondern Folge einer
ungenügenden Klärung der angesprochenen Fragen innerhalb
des Prozesses. Es soll hier nicht um
die Frage der Schuld am Auseinanderbrechen gehen, dennoch
muss auch gesagt werden: In
Frankfurt hat auch aufgrund von persönlichen
Enttäuschungen das Verhindern bestimmter
Konsensentscheidungen zum Auseinanderbrechen des Prozesses
geführt.
Nach Frankfurt wurde in einigen eilig einberufenen
Telefonkonferenzen der Prozess für Hamburg
gestartet. Dies passierte in einem relativ exklusiven
Verfahren in kleinem Kreis und war dadurch
intransparent. Durch diese Entwicklung entstand bei
einigen Menschen das Gefühl, dass ihnen der
Prozess weggenommen wurde und die von ihnen bis dahin
geleistete Arbeit ausgenutzt würde. Aus
dem Ursprungsprozess wurde dann aufgrund verschiedener
Entwicklungen und dem Ausstieg und
Abwandern vieler der Prozess, der zum Öko Anarcho Barrio
auf dem Camp führte.
Die Frage, ob ein gemeinsamer Prozess überhaupt möglich
gewesen wäre und sich durch eine
Klärung am Anfang viel Stress hätte erspart werden können,
kann hier nicht beurteilt werden. Mit
diesem Text ist aber die Hoffnung verbunden, dass eine
Zusammenarbeit zukünftig in Anerkennung
der unterschiedlichen Politikansätze in der einen oder
anderen Form wieder möglich ist und nicht
wegen indentitärer Zuordnung verunmöglicht wird.
Die Folgen der Trennung:
1. Unattraktiver Prozess
Seit der Trennung in Frankfurt hatten beide Prozesse
sowohl der Prozess, der dann zum
Klimacamp in Hamburg führte, als auch der, der im Anarcho
Barrio resultierte einen großen Teil
ihrer Attraktivität verloren. Unverständnis und
Kopfschütteln über den Prozess wurden von
Außenstehenden immer wieder deutlich gezeigt. Warum genau
es zur Trennung gekommen war,
war den wenigsten klar (oft selbst denen nicht, die Teil
der Prozesse waren).
2. Die entstandenen Gräben
Die Trennung in Frankfurt führte zu einer klaren
Frontenbildung innerhalb des Prozesses, mensch
war nun entweder teil des AarchoBarrios oder des „NGO“
Kreises die Bezeichnungen werden
hier bewusst benutzt, da sie exemplarisch für die
verkürzte Sicht auf die verschiedenen
Hintergründe sind. Einher ging damit auch eine zu
kritisierende Identitätsbildung, die auch auf dem
Camp kaum aufgebrochen wurde. Dass diese Identitätsbildung
auch mit unterschiedlichen
Vorstellungen über den Politikansatz zusammenhing, ist
klar dies wurde aber selten deutlich. Viele
Menschen wurden vor allem im Prozess, aber auch auf dem
Camp mit der problematischen Frage
konfrontiert, welcher Identität mensch sich zuordnen
solle.
3. Schwächung von Bewegung
Die Frage, ob die soziale Bewegung durch die entstanden
Gräben im Prozess insgesamt geschwächt
wurde, ist schwer zu beurteilen. Allerdings wurde der
Konflikt um die Zugehörigkeit zur einen oder
anderen Seite in verschiedenen lokalen Gruppen auch
geführt, und führte bei einigen Gruppen zum
Zusammenbrechen oder zu der Abkehr vom Thema. Zusätzlich
wurden die Möglichkeiten zur
Selbstermächtigung, zum Lernen von verschiedensten
organisatorischen Dingen, die ein politischer
Prozess meist ermöglicht, damit verpasst. Dies hing auch
mit dem entstandenen Zeitdruck nach
Frankfurt zusammen und führte zu einer Zentralisierung von
Aufgaben auf einigen wenigen
Schultern. Dass eine „Bewegung“ entstanden ist, stellt
dieser Text in Frage.
4. Leute sind verloren gegangen
Eine der traurigsten Folgen der Trennung ist sicher der
Verlust der vielen Einzelpersonen, die im
Laufe des Prozesses hinzu gestoßen waren. Viele dieser
Menschen, die fasziniert von der Idee eines
Klimacamps in Deutschland waren, sind nach der Trennung
weder auf OrgaTreffen der einen noch
auf denen der anderen Seite wieder aufgetaucht. Wieso
diese Menschen weg blieben, ist schwer zu
beurteilen es hängt jedoch sicherlich mit der
Zerrissenheit des Prozesses zusammen. Vielleicht
auch damit, dass sich eben nicht jede Einzelperson einer
der beiden Gruppen zuordnen konnte. Der
Konflikt wurde überall gespürt, selten jedoch verstanden.
Durch das Wegbrechen dieser Menschen
verlor der Prozess an Farbe und Pluralität. Dazu kommt,
dass es dadurch auf beiden Seiten zu wenig
Kraft und Menschen für bestimmte Projekte gab und diese
deshalb nicht umgesetzt werden konnten.
5. Verlust an Motivation / Burn Outs
Auch auf persönlicher Ebene demotivierte der Prozess
einige. Vor allem jene Menschen, die
plötzlich nicht mehr an der Organisation des Camps
beteiligt waren, waren frustriert und haben
teilweise Lust an politischer Arbeit verloren. Auf beiden
Seiten sind einige Menschen auf Grund
von Überarbeitung immer noch schlecht auf das Camp und den
Prozess zu sprechen und haben sich
teilweise aus der politischen Arbeit zurückgezogen. Dies
ist sicher auch eine Folge der wenigen
Menschen innerhalb der Prozesse und des Zeitdrucks, der
seit Frankfurt herrschte.
6. Verlust an Debatte
Der Konflikt innerhalb der Vorbereitungsgruppe ging auf
Kosten der Auseinandersetzung mit den
herrschenden Verhältnissen und wie dort der Klimawandel
verwaltet wird. Auch wichtige Debatten
darüber, wie mensch sich organisieren will und sich
gesellschaftliche Veränderung vorstellt, wurden
nicht geführt. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde auch
deshalb kaum sichtbar, dass es
durchaus verschiedene Ansichten darüber gibt, wie mensch
sich mit der KlimaProblematik
auseinandersetzen will.
7. Offenheit
Zusätzlich zum oft nicht als sehr offen empfundenen
Charakter von „linken“ PolitEvents führte die
Spaltung zu einer Atmosphäre, in der für außen Stehende
der Konflikt um die Zugehörigkeit zur
einen oder anderen Seite zur weiteren Verschlossenheit der
Veranstaltung beitrug. Vor allem die
identitären Barrios verstärkten dies sehr stark und
führten zu Unverständnis. Auch der Prozess war
aufgrund seiner Gestaltung nicht mehr besonders offen für
Initiativen und Ideen über die Gestaltung
des Camps.
8. Verschiedene Politikansätze wurden sichtbar
Durch die Trennung wurden auch die verschiedenen
Politikansätze sichtbar. Das Lernen darüber,
wie die anderen Politik machen wollen und was ihnen
wichtig in politischen Prozessen ist, war aber
vor allem vom Gefühl der Enttäuschung geprägt.
Beispielsweise fühlten sich, durch die Art und
Weise wie Pressearbeit gemacht wurde, ein Teil der
Campenden vereinnahmt, während diese Art
von Pressearbeit für die andere Seite zentral war. Es
herrschte auf beiden Seiten Unverständnis über
die Art der anderen Politik zu machen vor. Grundsätzlich
ist wohl auf beiden Seiten das Gefühl
entstanden, dass Zusammenarbeit aufgrund der verschiedenen
Ansätze schwierig war bzw. ist.
Und wie weiter?
Viele reden von „tiefen Gräben“. Teilweise gibt es
tatsächlich inhaltliche Differenzen, teilweise hat
der Klimacampprozess emotionale Spuren hinterlassen. Auf
keinen Fall soll hier der Versuch
unternommen werden die Differenzen weg zureden und so zu
tun als ob wir alle das gleiche wollten.
Ob wir das wollen, müsste sich erst in Diskussionen über
unsere Ziele herausstellen. Zunächst geht
es jedoch erst einmal darum destruktives gegeneinander
Arbeiten zu vermeiden. Das bedeutet nicht,
dass unterschiedliche Inhalte und Strategien nicht betont
werden sollten. Wichtig ist jedoch, dass
wir uns nicht aufgrund identitärer Zuordnungen Wissen
vorenthalten oder Projekte der anderen in
der eigenen Szene zu verschweigen.
Nach Frankfurt konnte kaum noch eine Debatte über
emanzipatorischen Klimaschutz mehr zustande
kommen. Das ist schade, denn Gegenstandpunkte, die dem
herrschenden Diskurs über
Emissionshandel, Sparlampen und Effizienzsteigerung
entgegengesetzt werden könnten, wären sehr
wichtig. Gerade bei konträren Standpunkten könnten
inhaltliche Diskussionen gut funktionieren. Es
gilt also Berührungsängste abzubauen, persönliche Wut
umzuwandeln in inhaltliche Konflikte und
eine Streitkultur aufzubauen.
Neben inhaltlichen Debatten sollten auch konstruktive
Debatten über Organisationsformen geführt
werden. Es geht dabei nicht um die korrekteste politische
Praxis, sondern darum wie Menschen sich
möglichst effektiv organisieren können. Gerade der Prozess
des Austausches hätte ein enormes
Potential für eine neue Klimabewegung. Es ist nicht
vorhersehbar, ob am Ende gemeinsame
Positionen, gemeinsame Projekte oder nur inhaltliche
Zerstrittenheit heraus kämen. Aber zu
emanzipatorischer Politik gehört eben auch offen über die
eigenen Ziele und Strategien zu reden
und diese zur Diskussion zu stellen.
Folgende Punkte wären wünschenswert, um zu verhindern dass
gegeneinander gearbeitet wird:
− Teilen von Resourcen und Wissen: Oft haben
Menschen aus Organisationen Zugang zu
bestimmtem Wissen und Resourcen. Dieser Zugang
sollten offen mit unabhängigen Aktivisten
geteilt werden. Andersherum sollten auch in der
„ÖkoAnarchoSzene“ vorhandene Ressourcen
und KnowHow geteilt werden.
− Bekanntmachen von Projekten „der anderen“ in der
eigenen Szene oder Organisation. So
könnten alle von der Vielfalt der Aktionen und
Kampagnen profitieren. Die Bewegung könnte
insgesamt gestärkt werden und viele Menschen bekämen
die Möglichkeit bei Veranstaltungen
mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung zum selben
Thema aktiv zu werden. Verschweigen
von Projekte „der anderen“, beispielsweise mit dem
Ziel Leute in der „eigenen“ Szene zu halten,
widerspricht nicht nur einem emanzipatorischen
Politkverständnis, sondern schwächt
letztendlich auch die gesamte „Bewegung“.
− Keine öffentlichen Distanzierungen gegen Aktionen
der anderen (was bisher auch nicht vorkam)
Folgende Punkte wären eine nötige Voraussetzung gewesen,
um das Camp gemeinsam zu
organisieren:
− Transparenz!:
=> Welche politischen Ziele verfolgen Einzelpersonen
oder Gruppen?
=> Auf welche Art und Weisen werden Dinge
organisiert?
− Klares Offenlegen der Funktionen, mit denen die
Leute am Prozess teilnehmen
− Ein Auftreten aller Akteure mit Fokus auf die
thematische Auseinandersetzung anstatt auf
unterschiedliche Identitäten, Labels und
Arbeitsweisen
− Gleiche Möglichkeiten für alle Menschen –
ermöglicht durch Wissensaustausch und Geduld von
erfahreneren Akteure
− Akzeptanz unterschiedlicher Schwerpunkte statt
Einschränkungen oder Vereinnahmung
− Keine Vereinheitlichung von Organisationsmethoden,
sondern versuchen die Arbeitsweisen
anderer zu akzeptieren und ein Nebeneinander dieser
zu ermöglichen
− Offene Pressearbeit, mit dem Bestreben
Vereinnahmungen zu vermeiden.
Auch wenn das aus unserem Kreis so schnell eher nicht noch
einmal geschehen wird, ist es sehr
wahrscheinlich, dass es ähnliche Camps und Projekte mit
ähnlichen Konflikten geben wird. Deshalb
halten wir diese Punkte hier gesammelt, damit die
nachfolgenden Akteure nicht die selben Fehler
wiederholen müssen.
Mit besten Wünschen für zukünftige Bündnisarbeit und
andere Projekte
Floh, Till, Björn, Jan-Hendrik und Franziska
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Diese Email wurde mit sauberem Strom von Greenpeace Energy eG verschickt.
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